Montag, 18. Februar 2019

Kuba-2018-Rückblick in Bellach am 17. Februar 2019



Ein Haus steht auf vier Eckpfeilern.
Unsere Partnerschaft mit Jugendlichen in Kuba steht auch auf vier Hauptpfeilern, heisst: auf vier Grunderfahrungen. 
Diese vier Säulen heissen: Arbeit – Essen – Musik - Freundschaft.
Wobei wir nur eine dieser vier Säulen geplant und erwartet hatten, nämlich die Arbeit. 


Die 1. Säule ist die ARBEIT
Die gemeinsame soziale Arbeit ist ein ganz wichtiger Aspekt unserer Partnerschaft. Ein soziales Projekt, das von uns Jugendlichen aus Solothurn und San Nicolas gemeinsam gegründet wurde, ist das Renovieren von Häusern von Menschen, die dafür keine Mittel haben. Was in Kuba oft schlicht fehlt, ein Häuschen bewohnbar zu halten, ist das Geld, vor allem wenn alleinstehende, kranke und ältere Menschen keine Familie haben.
Dafür sammeln wir in der Schweiz mit unseren Benefizaktionen Spendengelder.
Was aber vor allem ein Problem in Kuba ist: Man kann das nötige Material oft gar nicht kaufen, allenfalls auf dem Schwarzmarkt.
Holz, Farbe, Nägel, Pinsel, Schutzhandschuhe ... alles ist Mangelware, vor allem nach einem Wirbelsturm, wenn alles Material für die Tourismusgebiete reserviert ist. Wenn wir alle zwei Jahre nach San Nicolas reisen, packen wir unsere Koffer mindestens zur Hälfte mit Werkzeug und Material aus der Schweiz voll.

Gemeinsam mit der kubanischen Jugendgruppe geht es dann ans Renovieren. Während unserer nur zwei Wochen in Kuba konnten wir eine ganze Hand voll Häuser wieder wohnlicher machen!
Wir haben die Häuser neu und bunt bemalt, den Strom neu gezogen, Lampen montiert, geputzt und geschrubbt. Es ist großartig zu sehen, wie auch mit wenigen Mitteln ein Haus wieder zu einem Zuhause werden kann!

Es braucht keine Ausbildung und wenig Vorkenntnisse. Die meisten kubanischen Jugendlichen haben sowieso handwerkliches Grundwissen, weil man das meiste aus Kostengründen selber macht. Wir lernten schnell mit Hammer, Bohrer und Stromdrähten umzugehen.
Wenn ein Problem auftaucht oder etwas fehlt, dann wird man kreativ und probiert das Problem zu lösen, auch wenn es improvisiert ist. Da haben die Kubanerinnen und Kubaner uns - notgedrungen – eine Menge voraus.
Das inspirierte uns, selber auch kreativ zu werden. Der Wunsch nach Perfektion würde nur blockieren.
So ist es gekommen, dass die Häuser, die wir wohnlicher machten, trotz limitierter Mittel am Schluss in neuem Glanz strahlten.
Zum Beispiel haben wir einem Mann nach dem Wirbelsturm im Garten wieder ein WC-Häuschen aufgebaut mit alten Reis- und Kaffee-Säcken von der Müllhalde im Dorf.
Ein anderes Mal - nachdem wir zuerst beklagt hatten, dass die Farbe sicher nur für die Vorderfront reicht -, haben wir die Wandfarbe so lange mit Wasser gestreckt, so sparsam aufgetragen und alle Pinsel so sorgfältig ausgedrückt: bis dann doch das ganze Haus in der neuen Farbe strahlte.
Das schönste aber war das Stahlen der Hausbesitzer: ihr Lächeln und die Dankbarkeit zu sehen.

Zur 2. Säule wurde das ESSEN
Wenn wir uns nach dem Frühstück im Hof der Kirche in den Kreis setzten, um Pläne und Ideen zu besprechen, hörte man die Frauen in der Küche schon wieder werken. Das Geklapper der Plastikschüsseln und Pfannen, das Kratzen von Metalllöffeln auf Porzellan, das regelmässige Klopfen von Messern auf Brettern, nur hin und wieder unterbrochen von kurzen, meist fröhlichen Sätzen ... Das ist die Hintergrundmusik, die ich in meinem Kopf habe, wenn ich an Cuba denke.

Ich habe nie herausgefunden, wer die Leitung in der Küche hatte. Die 3-5 Frauen, die täglich drei köstliche Mahlzeiten auf den Tisch stellten, schienen weder einen Plan, noch eine Chefin oder ein Rezept zu haben.
Alle brachten sich ein, alle arbeiteten wie wild und alle zusammen kochten sie einfach einzigartig. Mich faszinierte die Lockerheit und Leichtigkeit, mit der sie als Team die Küche führten. Ohne Konzept, Arbeitsaufteilung oder Rangordnung. Sondern einfach zusammen als ein Ganzes.
Als wir an einem Abend unsere Esskulturen aus der Schweiz und Cuba aufeinander treffen liessen, hatten wir Schweizer schon Wochen zuvor geplant, wer was mit welcher Gruppe wann, wo und wie kochen würde.
Es gab Randensalat, Züpfe, Rösti, Raclette und Schoggifondue.
Wir hatten alles in der Schweiz eingekauft und die Waren viele tausend Kilometer nach Cuba.
Nach und nach füllte sich der Buffettisch auch mit lecker duftenden Köstlichkeiten aus Cuba: Jede kleine Lücke wurde genutzt für einen Teller hier, einen Teller dort ...
Ich konnte mir nicht erklären, wer alles wo, wann und wie diese Speisen geplant, angeleitet und gemacht hatte. Sicher war ich mir nur bei dem: sie brauchten weder ein Rezept, noch einen Plan noch ein Konzept. Denn damit hätte es sicher nicht geklappt.
Schliesslich mussten die Esswaren zuerst teils auf dem Schwarzmarkt gefunden werden. Um Lebensmittel wie Milch, Butter, Joghurt oder Käse auf dem Schwarzmarkt zu organisieren, kann es mehr als zwei Wochen dauern. Es wäre zu kompliziert, wenn einer alleine planen würde. Zudem hat nicht jeder Haushalt in Cuba die finanziellen Mittel, eine selbst zubereitete Speise an die Kirche zu spenden.
Ich glaube nicht, dass die Cubaner gross planten wer, wann, wo und wie was genau zubereitete.

Ich nehme an, dass sie sich einfach gegenseitig aushalfen, wenn es etwas auf dem Schwarzmarkt nicht zu finden gab, oder jemandem die Zeit zum Kochen oder das Geld zum Einkaufen fehlte.
Vielleicht half man sich mit Kontakten zu günstigen Warenhändlern oder man brachte Gemüse und Früchte aus dem Garten mit, oder man half jemand beim Zubereiten, wenn man selbst Zuhause keine richtige Küche hat.
In Cuba kann einem bewusst werden, wie wertvoll das tägliche Essen ist.
Und was das für ein wunderbares Fest wird, wenn man aus allem, was jeder hat, eine grosse Teilete macht.


Zur 3. Säule wurde die MUSIK
Wenn zwei verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, ist es nicht immer einfach, sich zu verständigen.
Die wenigsten Kubanerinnen und Kubaner können Englisch.
Und so war für diejenigen von uns, die nur wenig Spanisch konnten, die Sprachbarriere manchmal ein grosses Hindernis. Mit Händen und Füssen gelang es schlussendlich trotzdem, sich auszutauschen.
Aber das, was uns von Anfang half, Brücken zu bauen und uns verband, war die Sprache der Musik.
Wir können uns noch gut an unser erstes gemeinsames musikalisches Erlebnis in Kuba erinnern.
Am ersten Tag machten wir zur Auflockerung einige Kennenlernspiele. So richtig locker wurden wir dabei jedoch nicht. Etwas später holten Jessica von unserer Seite und der Kubaner Adrian spontan eine Gitarre hervor. Sie spielten und sangen gemeinsam. Es kamen dann immer mehr hinzu und sangen, tanzten oder klatschten zum Rhythmus der kubanischen Musik.
Von da an war das Eis gebrochen. Singend und tanzend formten wir nun alle zusammen eine Einheit. Grenzen gab es keine mehr.

Solch intensive Erlebnisse gab es danach immer wieder. An jedem Tag, während jeder Busfahrt, während der Arbeit und nach jedem Abendessen wurde musiziert. Und keine Musik ohne Bewegung! Still dasitzen und zuhören geht gar nicht.
Zuerst waren wir beim Tanzen auf die Hilfe der Kubanerinnen und Kubaner angewiesen. Sie zeigten uns die Grundschritte zu Salsa, Bachata und Co. Auch am Schluss konnten wir Schweizerinnen nicht mithalten, aber wir gaben unser Bestes!

Die Musik führte auch zu Meinungsverschiedenheiten. Während wir Schweizerinnen und Schweizer mit zarten, lieblichen Stimmen darauf konzentriert sind, jeden Ton genau zu treffen, singen die Kubanerinnen und Kubaner in maximaler Lautstärke so selbstbewusst wie nur möglich – auch wenn die Tonhöhe nur ungefähr stimmt. Sie motivierten uns auf jeden Fall immer, mit mehr Power zu singen und mehr aus uns heraus zu kommen.
Je länger wir zusammen waren, desto lebendiger und lauter wurden wir. Während unserer Busfahrten durch die atemberaubenden Landschaften Kubas in der zweiten Wochen gab es kaum eine ruhige Sekunde!
Unsere Guagua – kubanisch für Autobus - mutierte zu einem regelrechten Partybus. Entgegen unserer sonstigen schweizerischen Zurückhaltung wurde nun auch von uns während der Fahrt x mal der Platz gewechselt und durch den Bus getanzt. Dadurch kamen uns die langen Fahrten ganz schön kurz vor.



Die vierte Säule heisst FREUNDSCHAFT
Wir waren immer bereit, uns auf die Menschen in Kuba einzulassen. Dass in nur zwei Wochen sogar Freundschaften entstehen würden, damit hatten wir nicht gerechnet. Aber nun sind wir davon überzeugt: Freundschaft kennt keine Grenzen!

Dass wir als Schweizer Gruppe durch die vielen Vorbereitungen bei Abreise schon eine eingespielte Truppe waren, war sicher eine gute Ausgangslage, um sich wohl und geschützt ins Abenteuer Cuba zu stürzen. Gestürzt haben wir uns am Flughafen in Havanna zuerst in die Arme von Jorge: das einzige bekannte Gesicht in der Fremde (weil er uns im Herbst zuvor besucht hatte). Unerwartet und überwältigend war der Überraschungs- Empfang der Jugendgruppe. Sie hatten es geschafft, alle mitten in der Nacht als Empfangskomitee am Flughafen zu stehen! Mit viel Herzlichkeit, Umarmungen und Küsschen für uns - ihnen ja noch ganz unbekannte Menschen – haben sie uns vom ersten Moment an in ihre bestehende Gemeinschaft integriert. Schon während der Busfahrt nach San Nicolas wurde viel gefragt, gequatscht und über erste sprachliche Missverständnisse gelacht ...
Wir nutzten jede Gelegenheit, uns auszutauschen. Schön war: man hatte Zeit! So viele Gespräche ergaben sich ungeplant und spontan.
Es war eine wertvolle Erfahrung für uns, Zeit so ganz anders zu erleben: Ohne Uhr und Agenda in den Tag hinein zu leben, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Zu merken, wie das zwar manches chaotischer macht und zielgerichtetes Arbeiten verzögert – Aber andererseits viel mehr Raum entsteht, um Beziehungen zu knüpfen, Freundschaften zu vertiefen, Freundschaften zu leben. Sich Zeit nehmen, Zeit verbringen, die eigene Zeit teilen, Dinge gemeinsam tun ... Wie hat uns das in nur zwei
W ochen zusammengeschweisst!
Zeit füreinander – dies nicht nur nach, sondern auch während der Arbeit: beim Putzen, Hämmern, Sägen.
Zeit bewusst gemeinsam erleben: beim Musizieren im Kirchenraum, beim Tanzen unter der Pergola, beim Kochen in der Cubanischen Küche, beim Züpfenteig kneten, Kochbananen schälen, auf dem Dach beim Sonne tanken oder Sonnenuntergang bestaunen, beim Spazieren durchs Dorf, bei den Busfahrten über holprige Strassen. Nicht zu vergessen, die Nächte, in denen wir jeweils zu viert ein Bett teilen mussten J.

Es ist nun genau 1 Jahr her, dass wir dort waren:
Am Valentinstag vergangenen Donnerstag haben sie uns aus Kuba ein sms geschickt.
Die Cubaner nennen ihn Dia de amistad, Tag der Freundschaft. Da schenken sich nicht nur Liebespaare etwas, sondern auch Freunde und Freundinnen.
Letztes Jahr haben wir am Tag der Freundschaft miterlebt, wie man sich in der kubanischen Kultur viel offener sagt, was man für einen anderen empfindet.
Zum Teil für uns etwas sehr romantisch ... stets ausdrucksvoll mit vielen Emotionen, mit viel Nähe.

In Kuba kommt man schneller in die Kategorie Freund als bei uns, das war für uns durchaus auch ungewohnt. Ich glaube aber, dass sie ihrerseits gespürt haben, dass unsere Zurückhaltung nicht Ausdruck von weniger Zuneigung ist, sondern von Ernsthaftigkeit. Die Unterschiede in den zwei Kulturen waren immer wieder spannend, gerade auch was das Thema Freundschaft und Beziehung betrifft.
Dadurch, dass eine Vertrauensbasis entstand war, konnten wir auch über sehr persönliche Dinge sprechen. Auch wir als Schweizer Gruppe sind uns während der 2 Wochen näher gerückt und haben viele persönliche Gespräche geführt, auch über schwierige Dinge.
Der Abschied aus Cuba war schwierig, denn eine Ungewissheit bleibt, ob man sich je wieder zu sehen bekommt. Man verspricht sich, in Kontakt zu bleiben, auch wenn man ahnt, dass es schwierig werden könnte ... Heute, ein Jahr später können wir sagen: es ist nicht einfach, die Entfernung zu überbrücken. Aber die Erfahrungen bleiben im Herzen.
Heute versuchen wir bewusst, den Kontakt nicht nur als einzelne, sondern als ganze Gruppe zu pflegen, auch im Blick auf die Zukunft: denn es sind in beiden Ländern neue Jugendliche dazu gestossen und in 2020 werden andere Jugendliche auf den bestehenden Freundschaften aufbauen. Wir wissen, dass – wer immer aus Solothurn nach San Nicolas geht – dort wirklich als Freund willkommen geheissen wird! 



REFLEXION
Die Bergpredigt, aus der wir soeben einen Ausschnitt gehört haben, spricht von Menschen, die sich nach Gerechtigkeit sehnen: Glücklich die Menschen, die Hunger und Durst haben nach Gerechtigkeit; sie sollen satt werden.
Sehnsucht nach Gerechtigkeit ...
Hat Sehnsucht nach mehr Gerechtigkeit für Sie / Euch/ uns einen genau so grossen und existentiellen Platz im Leben wie Essen und Trinken?

Wenn man nach Kuba reist, dann wird man unweigerlich mit der Frage konfrontiert, was gerecht ist.
Wenn wir davon erzählen, was wir in Kuba gemacht haben, erzählen wir nicht nur von unserem sozialen Projekt, sondern auch wie es für uns war, mit dem Sozialismus oder Kommunismus ein politisches und wirtschaftliches System kennen zu lernen, das so ganz anders funktioniert als die Welt, in dem wir leben.


Es ist uns bewusst geworden, dass es die ursprüngliche Idee des Sozialismus war, dass es mehr Gerechtigkeit gibt: Alle sollten die gleichen Chancen haben, jede Arbeit sollte gleich viel Lohn wert sein.
Einiges von diesem Ideal ist auch Realität geworden: die Schulen sind für alle gratis, alle haben eine Arbeit, auf jedem Dorf gibt es eine Krankenstation, der Arzt ist für alle gratis. In vielen Ländern mit freier Marktwirtschaft sind die sozialen Gegensätze grösser.
Dennoch: obwohl die Gesetze Kubas auf der Grundlage von Forderungen nach Gerechtigkeit und Gleichheit entstanden sind, sahen wir grosse Ungerechtigkeit. Lebensmittel, die so knapp sind, dass sie nur für Touristen oder auf dem Schwarzmarkt zugänglich sind. Gesetze, die zwar alle gleichstellen, aber dadurch, dass das Gleiche oft zu wenig ist, ein Schwarzmarktsystem geschaffen haben, das eine neue Schere zwischen Armut und Reichtum geöffnet hat. Und es gibt ja immer die, die „gleicher“ sind als andere - und ihre Privilegien haben.

Gibt es ein Wirtschaftssystem, eine politische Struktur, die Gerechtigkeit schafft? Es ist zu kompliziert für einfache Antworten.
Wir haben uns aber grundsätzlich überlegt, was aus unserer Sicht gegeben sein muss, damit Gerechtigkeit eine Chance hat. Vier Antworten haben wir gefunden.


Erstens: Gerecht ist nicht dasselbe wie gleich.
Auf den ersten Blick siehst es gerecht aus, wenn alle genau gleich viel und genau das gleiche bekommen. Denn wer bestimmt den wahren Wert einer Arbeit?
Ist die Arbeit eines Ingenieurs wirklich so viel mehr wert als die eines Bauarbeiters? Braucht es nicht beides?

Auf der anderen Seite: Viele Kubaner verlieren die Motivation für ihren Job, weil alle immer gleich viel bekommen, egal wie sehr sie sich Mühe geben oder im Gegenteil Däumchen drehen. Aufstiegsmöglichkeiten gibt es nicht und den Lohn – der eh nicht reicht - erhalten sie so oder so.
Die Jugendlichen in Kuba sehnen sich nach weniger Gleichheit und nach mehr Unterschieden: im Sinn von mehr Individualität.
Uns geht es ähnlich: wir möchten gesehen werden, als Individuen, ernst genommen mit unseren Gedanken, Gefühlen, Wünschen und Gaben. Wir sind nicht alle gleich.

Ist Gerechtigkeit nicht eher, wenn jede und jeder das bekommt, was er oder sie wirklich braucht?
Umgekehrt gefragt:
Ist es nur gerecht, wenn alle dasselbe/ gleich viel geben? Nehmen wir das Beispiel vom Essen in der Kirche.
Es hätten niemals alle gleich viel geben können! Wie ungerecht und verletzend, wenn man ihre Gaben nach gleichen Kriterien bewertet hätte, ohne ihre besondere Situation zu sehen und diese zu berücksichtigen.
Die jungen Leute in San Nicolas haben für das grosse Buffet alle soviel beigetragen was sie geben konnten.

Die, die weniger Zeit hatten, halfen mit dem Kauf von Lebensmitteln. Die, die zu wenig Geld hatten, halfen bei der Zubereitung.
An diesem Abend sprach niemand von Gerechtigkeit. Wie könnte man vergleichen, ob vier Stunden Arbeit so viel wert sind wie ein Korb Früchte oder das Angebot die eigene Küche benutzen zu dürfen?
Wenn jeder so viel beiträgt, wie er kann – und am Ende alle das habe, was sie brauchen: Wozu noch vergleichen?

Das führt uns zur zweiten Überlegung:
Gerechtigkeit braucht Vertrauen.
Man muss darauf vertrauen können, dass wirklich jeder und jede gleichermassen die Gemeinschaft im Blick hat und das gibt, was möglich ist, auch wenn es in Zahlen gemessen mal viel und mal wenig ist.
Die grosse Bedeutung des Vertrauens für Gerechtigkeit haben wir in Kuba erlebt:
Wenn es nach einem Wirbelsturm keine Farbe, kein Holz zu kaufen gibt, weil die kubanische Regierung es braucht, um zuerst den Tourismus wieder flott zu machen ... weil dies die Devisen bringt, um Schulen, Strassen und Krankenhäuser für alle zu erhalten, ... dann akzeptieren das alle, die darauf vertrauen, dass das wirklich wahr ist.
Aber wenn dieses Vertrauen nicht gegeben ist? Wenn man vermuten muss, dass sich einige wenige persönlich etwas abzweigen ...?
Wir könnten auch ein Beispiel aus der Schweiz nehmen: ein ganz normales Team. Wenn ich darauf vertrauen kann, dass sich alle so gut engagieren, wie sie können, dann springe ich gerne ein und mache mal mehr.
Aber wenn ich darauf nicht vertrauen kann und vermute muss, dass ich ausgenutzt werde, dann empfinde ich mich ungerecht behandelt.




Die dritte Überlegung ist folglich: Gerechtigkeit benötigt in gewisser Weise ein gemeinsames Ideal. Etwas, woran man glaubt, ein gemeinsames Ziel.
Wir haben uns überlegt, warum wir uns in Kuba und für dieses Projekt engagieren. Wir arbeiten viel, geben viel Freizeit, erhalten keinen Lohn und zahlen auch noch selber dafür. Freiwilliges Engagement eben.

Das macht man nur, wenn man weiss, wofür man es tut. Wenn man sieht, was es bewirkt! Einen Sinn spürt.
Oder wenn einen ein gemeinsames Ziel verbindet – sogar erst noch über Kulturen hinweg.


Am Schluss sind wir zu der Übereinstimmung gekommen, dass die wichtigste Basis für Gerechtigkeit Wertschätzung ist.
Wenn Geld oder materieller Lohn das einzige ist, an dem ich den Wert meiner Arbeit, den Wert meines Engagements ablesen kann.

Oder sogar den Wert meiner Ideen und meiner Persönlichkeit ...
Dann ist es schwer, freiwillig mehr zu tun als andere. Oder andern zuliebe auf etwas zu verzichten.
Wir sprechen zur Zeit viel von Klimagerechtigkeit.
Was bedeutet es für uns, wenn wir diese Gerechtigkeit wirklich wollen? Für mehr Gerechtigkeit müssten wir uns mehr einschränken.
Wer von uns wäre dazu freiwillig bereit? Weniger reisen, weniger Fleisch auf dem Teller, weniger Autofahren, weniger neue Kleider ...
Ich tue es eher, wenn ich Teil einer Gemeinschaft bin,  

- der ich 1. vertraue,
- mit der ich 2. ein gemeinsames Ziel teile: eine
gemeinsame Hoffnung, eine gemeinsame Sehnsucht 

- von der ich mich 3. wertgeschätzt fühle so wie ich bin und mit dem, was ich zu geben habe, so dass Selbstzweifel und Eifersucht keine Rolle spielen:
Eine Gemeinschaft, in der ich so sein kann wie ich bin, gleichberechtigt und doch unvergleichbar. 
Amanda, Carole, Jessica, Lea, Nina Uno, Nina Tres